Durchfährt man die idyllisch im Tal gelegene Ortschaft Gosenbach, so wird man auch nach einem genaueren zweiten Blick wohl nicht vermuten können, welche vielfachen wie interessanten Geschichten über diesen heutigen Stadtteil Siegens zu erzählen sind. Geschichtliche und industrielle Zeugnisse aus der Vergangenheit verleihen Gosenbach das Antlitz eines geschichtsträchtigen Orts und lassen ihn neben vielen weiteren Ortschaften als Blaupause für einen Siegerländer Ort erscheinen. Doch sind es nicht allein diese augenscheinlichen, körperlich erfahrbaren Merkmale, wie der Nachbau eine La-Tene-Ofens bei der Gosenbacher Quelle, die Röstöfenanlage, das ehemalige Verwaltungsgebäude der Grube Storch & Schöneberg, die Gosenbach historisch relevant machen, sondern eben auch seine politische Geschichte.
Am 25.11.1347 unter dem Namen Gosinbach erstmals urkundlich erwähnt, kann man an ihm eine für viele Orte der heutigen Bundesrepublik Deutschland typische verwaltungs- und territorialgeschichtliche, aber auch ökonomische Entwicklung nachzeichnen. Nachdem schon die Kelten in den Jahren 300 v.Chr. bis 100 n.Chr. (ca.) die Gosenbacher Gegend als Ort für Eisenabbau und Verhüttung nutzten, wie Otto Krasa 1930 – der als Erster eine laténezetiliche Eisenverhüttung im Siegerland am Nordosthange des Rotenbergs bei Gosenbach entdeckte – beweist, sollte der Bergbau in den folgenden Jahrhunderten das Ortsbild wie auch die Lebensweise der damaligen Bevölkerung dominieren.
Politisch fiel Gosinbach 1347 unter die Verwaltung des nassauischen Grafen Otto II. aus der ottonischen Linie des Hauses Nassau-Siegen. Urkundlich benannt wurde neben einem Selbacher Hof zu Gosenbach (später Keppelscher Hof[1]) im Besitz des alten Adelsgeschlechts der Selbacher auch schon der Wildenburger Hof. Dies sind beides Lokalitäten, die auch im heutigen Gosenbach, wenngleich nicht mehr in der Ursprungsform, so aber doch als Name und definierter Standort immer noch geläufig und vorhanden sind. Während sich in den folgenden vier Jahrhunderten die Verwaltungszugehörigkeit nicht mehr änderte, entwickelte sich Gosenbach fortlaufend zu einem festen Standpunkt des Bergbaus. Dieser wurde erstmals 1417 durch die Nennung in den Renteiverzeichnissen der Stadt Siegen der Hütte Selbach, der Hütte Helling und der Grube Hamberg als solcher definiert und dokumentiert. Im Jahre 1465 folgten die Gruben Rodenberg, Ewert zu lande, menkeler, Uff dem Hamberg, Connen, Heyne, Krolhenn, Uff der hohe foer, bontzel und Gretchen. Die Grube Lurzenbach, die fortan bis in die Gegenwart namensgebend für einen ganzen Ortsteil Gosenbachs war und ist, wurde zwar gewerkschaftlich betrieben, aber dennoch 1482 zu einem neuntel an den Grafen Johann verkauft. Weitere Gruben, die ebenfalls auch heute noch populär sind, wurden 1569 und 1585 urkundlich festgehalten. Unter ihnen befinden sich insbesondere die Grube Storch (1585) und die am Nordhang Gosenbachs gelegenen Gruben Schöneberg und Grüner Löwe, an deren Existenz heute noch zwei nach ihnen benannten Straßen an gleicher Stelle erinnern. Dabei ist die große Anzahl an Gruben durchaus bemerkenswert, wenn man sich die Tatsache verinnerlicht, dass die Einwohnerzahl um 1600 lediglich 20 Personen, die sich auf zwei Höfe aufteilten, betrug. Dies sollte sich in den zwei folgenden Jahrhunderten allerdings ändern. Zu 1700 verdoppelte sich die Einwohnerzahl auf 39 Personen auf fünf Höfen, zu 1800 verfünffachte sie sich gar auf 102 Personen verteilt auf nun 10 Häuser. In diese Zeit des Bevölkerungswachstums fiel der Wiederaufbau der Gosenbacher Kupferhütte 1620, sowie politisch relevant, die Abspaltung des Hauses Nassau-Siegen vom Haus Nassau-Dillenburg 1606. Als Folge änderte sich nur wenige Jahre später auch die Verwaltungszugehörigkeit. 1624 fiel Gosenbach unter die Verwaltung der reformierten Fürstenlinie Nassaus mit Graf Johann III. (auch unter Johann der Jüngere bekannt) an seiner Spitze. Ab 1674 zeichnete sich der Fürst Johann Moritz für das Haus Nassau-Siegen verantwortlich. Nachdem sowohl die katholische wie reformierte Linie des Hauses Nassau-Siegen erloschen, verwaltete fortan die Diezer Linie, seit 1702 auch Erbe der älteren oranischen Linie in den Niederlanden, die gesamt nassauisch-ottonische Grafschaft. Da sie allerdings von Beginn an in Haag residierten, wurden die einstigen Stammgebiete zu Nebengebieten der Grafschaft. Ab 1742 wurde Gosenbach wie das gesamte Siegener Gebiet somit von einer von der Grafschaft eingesetzten Zentralbehörde mit Sitz in Dillenburg verwaltet. Im Jahre 1702 begonnen, endete die Verwaltungszugehörigkeit zum nassau-oranischen Staatsverband 1806.
Während sich die Verwaltungszugehörigkeit bisher durch eine gewisse Kontinuität auszeichnete, änderte sich dies im 19. Jahrhundert. Gleich fünf Mal wechselte diese. Von 1806 bis 1813 gehörte Gosenbach zum neu gegründeten Großherzogtum Berg, von 1813 bis 1814 zum Haus der Fürsten Wilhelm von Oranien. Das folgende Jahr 1815 bedeutete eine Zäsur in der langen Geschichte der Verwaltungszugehörigkeit Gosenbachs. Nun war es nicht mehr ein Fürsten- oder Großherzogtum, unter dessen Verwaltung der kleine Ort fiel und an dem er seine „Abgaben“ zu leisten hatte, sondern ein staatlich institutionalisierter Regierungsbezirk, hier der gerade neu entstandene Regierungsbezirk Koblenz, der seinerseits in die Provinz Großherzogtum Niederrhein integriert war. Doch schon ein weiteres Jahr später, 1817, wechselte Gosenbach in den Regierungsbezirk Arnsbergs über und gehörte nun bis 1878 dem Kreis Siegen im Amt Weidenau an, der in die Provinz Westfalen eingegliedert war. Mit dem Verkauf des Keppelchen Hofes an den letzten Pächter im Jahre 1839 fiel in diesen Zeitraum auch das endgültige Ende des Lehnswesens in Gosenbach. Zwei Jahrzehnte später, im Jahre 1878, wechselte Gosenbachs Verwaltungszugehörigkeit innerhalb des Regierungsbezirks Arnsberg vom Amt Weidenau zum Amt Eiserfeld. Neben dem Ende des Lehnswesens prägte ein weiteres Ereignis diese Jahrzehnte. Im Jahr 1859 erfolgte aus ökonomischen und strategischen Gründen, die geplanten Tiefbauanlagen waren finanziell nur gemeinsam zu stemmen, der Zusammenschluss der bislang selbstständigen Gruben Storch und Schöneberg zur Gewerkschaft Storch & Schöneberg, ein Startsignal für den in den folgenden Jahren stark prosperierenden Grubenbau in Gosenbach. Die neu gegründete Gewerkschaft übernahm in den folgenden Jahrzehnten weitere selbstständige Gruben, u.a. die Gruben Lurzenbach (1897) und Grüner Löwe (1898), erschuf eine eigene Rösterei hinter dem heutigen EDEKA – Gelände, etablierte eine Seilbahn über den Rothenberg zur Marienhütte in Eiserfeld mit einer Gesamtlänge von 2,5 Kilometern und entwickelte sich bis 1900 mit 2000 Belegschaftsmitgliedern und einer Jahresförderung von 400.000 Tonnen Spateisenstein zur größten und tiefsten Spateisenstein-Grube Europas. Die Einwohnerzahl betrug 1905 mit 237 Familien 1430 Personen. Allerdings hinterließen die beiden Weltkriege auch in Gosenbach ihre Spuren. Obwohl 1927 die Gewerkschaft Storch & Schöneberg in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, konnte dies nicht das Ende einer über 2000-jährigen Bergbaugeschichte in Gosenbach aufhalten. Die letzte Förderschicht in der Grube Storch & Schöneberg endete am 30.01.1942. Während der untertägige Grubenbesitz ab 1953 von der neu gegründeten Erzbergbau Siegerland AG übernommen wurde, wurden die obertägigen Anlagen vermarktet oder zurückgebaut. Heute erinnern unter anderem das alte markante Verwaltungsgebäude der Gewerkschaft im Ortskern und die 1958 erbaute Kirche, die aus dem alten Maschinenhaus errichtet wurde, noch an diese erfolgreiche Zeit.
Die Verwaltungszugehörigkeit änderte sich 1966 ein weiteres Mal. Nun gehörte Gosenbach zur Stadt Eiserfeld. Die sollte allerdings nicht lange so bleiben, denn nur wenige Jahre später, im Jahr 1974, wurde Gosenbach in die Stadt Siegen eingemeindet, dessen Teil es noch heute ist. Die Einwohnerzahl (Stand 31.12.2020): 2250.
[1] Umbenennung in Keppelscher Hof nachdem die Witwe des 1472 verstorbenen Dietrich von Selbach den Hof dem Kloster Keppel vermachte.